Zitat von Saarkite
Hi,
ich will Ralf nicht zu nahe treten, aber diese Erklärungen sind in meinen Augen die unsachlichsten, fehlerhaftesten und irreführendsten Erklärungen zu dem Thema, die ich je gelesen habe. (Sorry für die klaren Worte)
Die physikalisch-technische Antwort ist eigentlich recht simpel: die Summe aller am Drachen auftretenden Kräfte und Momente ist nur in der vom Drachen eingenommenen Flugposition gleich Null.
Anders ausgedrückt: befindet er sich nicht in seiner idealen Flugposition, sondern z.B. flach und seitlich, dann erzeugen die auftretenden Kräfte und Momente in ihrer Summe eine aufrichtende Kraft, bzw. ein aufrichtendes Moment, das den Drachen in Richtung seiner idealen Flugposition bewegt.
Der Grund warum das so ist, liegt in der komplexen Aerodynamik, die mit der von Flugzeugen identisch ist.
Beispiel: Ein Drachen macht einen Hochstart an voller Leinenlänge. - Kurz nach dem Start fliegt der Drachen noch mit einem flachen Leinenwinkel (großer Anstellwinkel zum Wind), strebt aber nach oben weil die Auftriebskräfte nicht nur eine reine Zugkraft entlang der Leine erzeugen, sondern auch (vom Drachen ausgesehen) nach vorne (entlang seiner Längsachse). Diese kurz nach dem Start noch recht kleine Kraft bewirkt, dass der Drachen steigt. Im weiteren Verlauf des Steigflugs wird diese Kraft zunächst grösser weil das Flügelprofil (das Segel) in einen besseren Anströmwinkelbereich kommt. Hier wird auch die entlang der Flugschnur gerichtete Auftriebskomponente deutlich stärker.
Anschliessend kommt der Drachen so hoch, dass sein durch die Waage erzwungener Anstellwinkel gegenüber dem Wind zunehmend flacher wird und die Auftriebskräfte insgesamt wieder abnehmen. Mit dieser Abnahme der Auftriebskräfte und dem gleichzeitig immer flacher werdenen Anstellwinkel wird die nach vorne gerichtete Kraft, die den Drachen anfangs steigen liess, immer kleiner, so dass sie am Ende nur noch gerade so ausreichen, den Drachen an Ort und Stelle zu halten, damit er nicht vom eigenen Luftwiderstand (die nach hinten gerichtete Kraft) wieder runter gedrückt wird. Es gibt also eine Position, in der sich die aufrichtenden und abrichtenden Kräfte genau die Waage halten. Genau dort bleibt der Drachen stehen.
Gleiches passiert auch mit den seitlichen Kräften. So dass sich letztlich eine feste Position am Himmel ergibt.
Böen, Turbulenzen usw. ändern jetzt schlagartig einen Teil der Gleichung - ändern also das physikalische Gleichgewicht, so dass die Summe der Kräfte und Momente nicht mehr Null ist - mit der Folge, dass der Drachen sich entlang der nicht kopensierten Kräfte bewegt - solange bis wieder Gleichgewicht herrscht und das Spiel von vorne beginnt.
Warum stehen verschiedene Drachen mit verschiedenen Leinenwinkeln? Die Antwort ergibt sich aus dem oben Geschilderten: z.B. kann der eine Drachen einfach einen grösseren Luftwiderstand haben als ein anderer. Dann muss er in einem Anstellwinkelbereich fliegen, bei dem die vorwärts gerichtete Kraft noch ausreichend gross ist, den Luftwiderstand zu kompensieren. Er steht also mit einem flacheren Leinenwinkel.
Ähnlich ist es, wenn man z.B. bei einem Zugdrachen die Waage so einstellt, dass er einen steileren Anstellwinkel hat. Der steilere Anstellwinkel bewirkt einen größeren Luftwiderstand, so dass der Drachen flacher steht, aber gleichzeitig auch mehr Zug entlang der Flugleine erzeugt.
Übrigens: die Flugphysik eines Drachen zu erklären, ohne die durch die Leine eingebrachten Kräfte zu berücksichtigen (wie bei den von mir kritisierten Links der Fall) kann nicht erschöpfend zum Ziel führen, da dadruch ein für den Drachenflug wesentlicher Teil der Physik vernachlässigt wird...
Gruß,
Dietmar
PS: wenn Peter Lynn noch nach der Antwort sucht, warum stablose Drachen fliegen, dann sollte er sich mal die ersten Semester Aerodynamik an einer technischen Hochschule anhören. (Klingt jetzt vieleicht ein wenig arogannt - ist es vieleicht auch - aber so ist es.)
Die Zusammenhänge (auch für sog. Inflatable Structures) sind schon seit Jahrzehnten bekannt: der innere Druck der die Form eines Stablosen bewahrt, wird durch den Staudruck in den vorderen Öffnungen erzeugt. Bildet die Form zufälligerweise eine insgesamt nach oben gerichtete Auftriebskraft, fliegt der Drachen. Der Wind, der auf die äusseren Flächen "drückt" lässt dann den Drachen auch nicht wieder zusammenfallen, weil z.B. auf der Oberseite sogar ein Unterdruck entsteht, der den Drachen weiter aufgebläht hält. Nur wenn das (sensible) Gleichgewicht z.B. durch Böen gestört wird, kann er in sich zusammen fallen und runter kommen.
Die restliche Aerodynamik ist identisch mit der anderer Drachen. Wichtig bei Stablosen ist nur der Punkt, dass der innere Druck größer ist als der äussere. Und das wird durch den Staudruck auf die Zuluftöffnungen bewirkt.