Ich habe mal etwas interessantes in einem Buch gelesen in dem es eigentlich ums Motorradfahren ging, aber der Autor ist Professor für Verhaltensforschung, es ging also so manches Mal ins Grundsätzliche, nämlich wie Menschen Werkzeuge benutzen. Werkzeuge sind in diesem Zusammenhang alles was Menschen zur Erreichung bestimmter Ziele an Hilfsmitteln benutzen.
Mein Lieblingsbeispiel war das Befestigen einer Schraube mit einem Dübel in der Wand: Die Hand führt den Schraubenzieher, der Schraubenzieher steckt in der Schraube, die Schraube im Dübel und dieser in dem Bohrloch. Die Konzentration der Sinne, im beschriebenen Beispiel in erster Linie Gefühl und Gehör, findet an der Berührungsstelle zwischen Schraube und Dübel statt, der Schraubenzieher wird nicht bewusst geführt. Man "fühlt", wie die Schraube sich langsam in den elastischen Dübel dreht, gleichzeitig hört und fühlt man ob der Dübel sich womöglich im Bohrloch mitdreht, was ja nicht sein darf.
Entsprechend konzentrieren sich beim Motorradfahren die Sinne auf die Berührungsfläche zwischen Reifen und Asphalt. Es gab dann entsprechende Übungen, um die Konzentration und das Bewusstsein auf diese Stellen zu verlagern.
Ein Florettfechter "weiss" nicht mehr wo seine Füße stehen, er kennt auch die Position seiner Arme nicht mehr, aber er kann die Spitze seines "Werkzeuges" millimetergenau positionieren.
Neulich habe ich mit meinem kleinen Sohn für unser Fernlenkauto eine Rampe zum Springen aufgebaut. Jedes Mal, wenn das Auto abgehoben hat, ist mein Sohn mitgesprungen. Er war das Auto, so ist es gemeint und Kinder können das; er hatte den richtigen Moment zum Abspringen schneller und zuverlässiger gelernt als ich.
Am Anfang des Drachenfliegens hatte ich wie wahrscheinlich jeder viel Mühe, die Hände den dazugehörigen Drachenseiten zuzuordnen, rechts und links sind oft durcheinander gekommen. Lenkbewegungen wurden noch mit bewussten Kommandos im Gehirn ausgelöst. Nach einer Weile ist das komplett verschwunden, die Hände fühlen sich intuitiv "ihrer" Seite des Drachens zugehörig, vollkommen egal, welche Lage der gerade eingenommen hat. Der Steuerungsprozess ist aus den bewussten Teilen des Gehirns in die intuitiv agierenden verlagert worden. (Das sind tatsächlich unterschiedliche Bereiche im Gehirn.) Dieser Vorgang enthält aber eine große Gefahr: Wenn etwas falsches diesen Weg gegangen ist ist es sehr schwer, das zu Gunsten der richtigen Lösung rückgängig zu machen, diese unbewusst gesteuerten Vorgänge haben ein sehr starkes "Gedächtnis".
Im Grunde heisst das, beim fliegen mehr "Drachen" als "Pilot" zu sein, genauer, sich in das Gesamtsystem "Drachen und Wind" einzufühlen.
Letztes Mal auf der Wiese hatte ich eigentlich genau dies Erlebnis mit (Michaels) Masque. Der Wind war so das der Drachen sich gerade gut "drauflegen" konnte, exakte Führung ohne Kraftakt. Es waren auch nur ein paar horizontale Passagen, denn wenn es komplizierter wird wird auch das Beobachten solcher Vorgänge viel schwieriger. In aller Deutlichkeit konnte man merken, wie der Drachen auf seinem Luftpolster für den geraden Flug "einrastete". Er will ja geradeaus fliegen, er kann es aber nicht wenn ich ihm dazwischenfummele. Wie oft hat man es, das der Drachen absolut auf dem richtigen Weg ist, aber nicht kann weil irgend so ein Tollpatsch wieder die Leinen zu fest hält... Zum studieren dieser Vorgänge empfiehlt sich also einfachstes fliegen.
Schön kann man den "Eigenwillen" eines Drachens bei einer Axelkaskade beobachten, je nach Wind und Drachen ergibt sich ein Rhythmus dem ich als Pilot erstmal folgen muss, sonst geht sie schief. (Trick: Augen zu. Und auf den verlängerten Tastsinn, die Leinen verlassen.) Am deutlichsten wird das zeitweilige "Loslassen" bei schönen langsamen Taz- oder Slotmachines. Wenn der Trick eingeleitet ist, macht der Drachen die Drehungen allein, die Leinen hängen durch, ein direkter Kontakt zum Piloten ist nicht mehr vorhanden. Im Extremfall findet der Drachen seine Spur so gut, das er aus beiden Tricks bis zum Boden weiter kreisen kann.
Um den "Willen" des Drachens herauszuspüren muss ich bereit sein auf seine teilweise subtilen Signale einzugehen. Um die Esoterik nicht zu weit zu treiben: Der Drachen bleibt natürlich ein Werkzeug im beschriebenen Sinne. Aber das Loslassen und Einlassen auf dessen Rhythmus spiegelt sich direkt auf den Piloten zurück, er ist es ja, der es tut. Direkt davon hängt auch das Maß der Entspannung und des Vergnügens beim Fliegen ab. "Alles im Griff haben" und sonstige kämpferische Ansätze können "Aoxomoxoa" nicht erzeugen.
Na denn, Erik