Zugkrafttests

    Habe mir euere Berichte durchgelesen und denke einfach das irgendwo ein Fehler noch enthalten ist.Ein Drachen der ich sag mal einfach 10 kilo hebt hat eine wesentlich grössere Zugkraft wie die die gemessen worden ist. Durch den Hebel der entsteht benötigt der Drache andere Kräfte um dieses Gewicht zu heben. Tatsächlich sind dies aber die 10 kilo die an der zb. Federwaage auftauchen. Darum ist meine Frage gibt es noch eine andere wirkende Kraft oder liegt ein Gedankenfehler vor. Das mit dem Gewicht habe ich selber ausprobiert.

    Ich denke Du hast da tatsächlich einen kleinen Denkfehler.


    Die Drachenleine geht (abgesehen von der Durchbiegung wegen "Seitenwind" schnurstraks zum Bodenanker. Die Kraft greift also genau in der Schnurchse an.
    Da gibt es keinen Hebel, wenn eine Federzugwage in die Schnur gebaut wird.

    Hi,
    man könnte das stark vereinfacht so sehen:



    Die Auftriebskraft ist:
    Fa > Gd (Gewichtskraft Drachen) + Gl (Gewichtskraft Last) + Gs (Gewichtskraft Seil)


    Die Widerstandskraft ist immer:
    Fw > Fd (Luftwiderstand Drachen) + Fws (Luftwiderstand Seil)


    Und damit ist die Seilkraft immer:
    Fs > Fa


    Unten am Bodenanker entfällt die Gwichtskraft des Seils, weswegen das Kräfteparallelogram etwas flacher ausfällt und somit die Resultierende tangential zum Seil verläuft. Die Kraftdifferenz entspricht ungefähr dem Gewicht des Seils - ist also vernachlässigbar.


    Damit ist die Zugkraft, die man unten messen kann, immer grösser als die Gewichtskraft der Last.
    Hinzu kommt, dass man Lasten in der Regel nur anhängt, wenn der Drachen einen ordentlichen Auftriebsüberschuss hat, also stabil am Himmel steht. Diesen Auftriebsüberschuss musst du unten auch noch halten.


    Gruß,
    Dietmar

    Hi,
    ich hab mir grad nochmal Mattes' Aussage durch den kopf gehen lassen. Ein "Hebel" käme ins Spiel, wenn die Last irgendwo mitten im Seil hängen würde:



    Allerdings ist das kein Hebel, wie ein durchgehender Balken, sondern ein flexibles Seil.


    Dabei muss am Befestigungspunkt der Last die Hebekraft Fh erzeugt werden, die wiederum durch das Kräfteparallelogram der Seilfräfte des oberen Seilstücks Fso und der des unteren Seilstücks Fsu ensteht.


    Durch die extrem ungünstig wirkenden Kräfte muss das Seil durch eine sehr grosse Gesamtzugkraft Fsg gespannt werden.


    Interessant ist , dass die Haltekraft am Boden nun deutlich von der Position des Befestigungspunktes der Last abhängt.


    Ist die Last ganz oben befestigt, gilt das, was ich im vorherigen Post geschrieben habe. Hängt die Last weit unten, muss der Drachen nicht mehr so stark ziehen.
    Damit ist die Gesamtzugkraft am größten, wenn die Last direkt oben am Drachen hängt.


    Man kann das auch sehr schön an der oberen Seilkraft Fso' sehen:
    Je weiter oben die Last im Seil hängt, desto weiter nähert sich Fso' Fa an. Im Extremfall werden, wie im ersten Beispiel, die 10 kg von Fa getragen. Fsg ist also maximal.
    Weiter unten geht Fso' eher in Richtung Fsg, wobei Fa dann etwas kleiner sein darf, um die 10 kg zu heben.


    Eine interessante Schlussfolgerung aus dieser Betrachtung ist, dass man zum Heben von Lasten besser einen steil stehenden Drachen nimmt, da dabei die Gesamtkräfte deutlich kleiner sind.


    Bei einem sehr steil stehenden Drachen kann es theoretisch also doch vorkommen, dass die Haltekraft am Boden kleiner als die Gewichtskraft der Last ist. Das liegt dann aber nicht am "Hebel" des Seils, sondern am steilen Leinenwinkel. 8-)


    Gruß,
    Dietmar


    - Editiert von DK am 22.07.2007, 12:21 -

    Saubere Arbeit :H:


    Daraus kann man mal direkte Schlussfolgerungen zur Verwendung von Drachen bei Lufbildfotographie und mehr ziehen.
    So mag ich Forum. ;)

    À plus


    Steph/Elément'Air
    Calvados/France

    Hallo Freunde,
    die schönen Beiträge von Dietmar haben mein Interesse neu entzündet.
    Ich hab mir eine Leine und einen Drachen ohne Gewicht und Luftwiderstand gedacht, dann ein bißchen skizziert und gerechnet. So hat sich das folgende, einfache und sehr theoretische Bild ergeben:

    (Danke Drachenbernhard! Du hast das Bild oben für mich eingefügt. Ich hatte dabei echt Probleme).
    Mit etwas Phantasie erkennt man im Bild einen Drachen mit Auftrieb 10 und der Gewichtslast 3, angehängt ist ein Windsack mit Luftwiderstand 2. Das ergibt wie skizziert und gerechnet den Leinenzug 7,3 und den Leinenwinkel 74°. Rechts daneben sieht man denselben Drachen mit größerem Windsack, der zuerst den Luftwiderstand 4 und dann 7 hat. Hierdurch erhöht sich die Zugkraft auf den Wert 8,1 und 9,9, gleichzeitig sinkt der Leinenwinkel auf 60° und 45°.
    Mit zunehmendem Luftwiderstand steigt auch die Leinenlast, gleichzeitig sinkt der Leinenwinkel. Weil der Leinenzug die geometrische Summe aus Hubkraft und Luftwiderstand ist, passiert das Gleiche, wenn bei gleichbleibendem Auftrieb 10 die Gewichtslast größer wird.
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    Dietmar schreibt:
    "Damit ist die Zugkraft, die man unten messen kann, immer grösser als die Gewichtskraft der Last"
    Nach meiner Auffassung wird die Kraft am Boden immer kleiner, je schwerer der Drachen durch Eigengewicht, Last und Leine belastet wird.
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    Auch das sehe ich anders als Dietmar:
    "Eine interessante Schlussfolgerung aus dieser Betrachtung ist, dass man zum Heben von Lasten besser einen steil stehenden Drachen nimmt, da dabei die Gesamtkräfte deutlich kleiner sind."
    Ich habe schlechte Erfahrungen mit sehr steil fliegenden Drachen gemacht: Wenn der Wind nachläßt, beginnen sie über den Himmel zu wandern und zu drehen, dann gerät mein KAP ins Schleudern, kein schönes Gefühl für mich
    Davon abgesehen hängt das Picavet-Pendel an der steilen Leine sehr ungünstig. Darum würde ich an den steil fliegenden Drachen immer einen Windsack hängen, obwohl dieser, wie gezeigt, die Zugkraft am Boden vergrößert.
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    Gruß Hermann
    - Editiert von Hermann am 26.07.2007, 13:38 -
    - Editiert von Hermann am 26.07.2007, 14:02 -

    Hi Hermann,
    schöne Rechnung! :H:


    Wie du in meinem zweiten Post lesen kannst, habe ich meine Aussage, die du als erstes zitiert hast, wieder revidiert. Hast vollkommen Recht. Manchmal wird man schlauer, je länger man über sowas nachdenkt. 8-)


    Der eigentlich interessante Fall ist, wenn die Last im Seil hängt und nicht direkt am Drachen. Dann gibt es einen für die Kräfte nicht unerheblichen 'Knick' im Seil, der den Bodenanker nochmal mächtig entlasten kann weil der obere, steilere Leinenteil anteilig mehr Last aufnimmt als der untere.
    Bei wenig Auftriebsüberschuss kann dieser Knick sehr gross werden, so dass die Kräfte im unteren Leinenteil deutlich geringer sind als im oberen.


    Eine weiterer, schöner Effekt davon ist, dass der untere Leinenteil auch weiter von der Last weg kommt. Somit kannst du einen steil stehenden Drachen und trotzdem genügend Platz für eine KAP Rigg haben. :H:


    Gruß,
    Dietmar


    - Editiert von DK am 26.07.2007, 21:42 -

    Ich bin echt begeistert, was sich aus meiner ersten, einfachen Anfrage entwickelt hat.


    Ich habe zwei sachen gelernt:


    1. keine Frage ist unnütz..... es kann sich aus jeder Anfrage war sinnvilles und brauchbares entwickeln


    2. das KAP-System ist "mitten in der Leine" wesentlich besser aufgehoben als unmittelbar und dem Drachen


    ist doch was (!) (!) (!) :H: :H: :H:

    Salut Herman,


    Zitat

    Ich habe schlechte Erfahrungen mit sehr steil fliegenden Drachen gemacht: Wenn der Wind nachläßt, beginnen sie über den Himmel zu wandern und zu drehen, dann gerät mein KAP ins Schleudern, kein schönes Gefühl für mich
    Davon abgesehen hängt das Picavet-Pendel an der steilen Leine sehr ungünstig. Darum würde ich an den steil fliegenden Drachen immer einen Windsack hängen, obwohl dieser, wie gezeigt, die Zugkraft am Boden vergrößert.


    Auf die Praxis übertragen: Sollte der Windsack direkt am Drachen befestigt werden, um das gesamte System flacher zu stellen?
    Denn wenn ich den Windsack unterhalb des Drachens befestige, auf dem Teilstück zwischen KAP und Drachen, habe ich zwar eine flache Leine für das KAP, aber der Drachen steht hinter dem Windsack immer noch steil, mit den schon genannten Nachteilen.
    Sehe ich das richtig? :(

    À plus


    Steph/Elément'Air
    Calvados/France

    Zitat von Steph:
    Sollte der Windsack direkt am Drachen befestigt werden, um das gesamte System flacher zu stellen?
    ___________________________________---


    Hallo Steph:
    Deine Frage ist gut. Ich beantworte sie ganz vorsichtig, weil ich kein erfahrener
    KAPitalist bin ;)
    Wenn Dein Drachen sehr steil fliegt, könntest Du beides brauchen,
    a) einen Windsack am Drachen, nicht zu groß, gerade ausreichend um den Drachen zu stabilisieren,
    b) einen Windsack einige Meter oberhalb der Kamera, der den Leinenwinkel am Picavet auf etwa 60° herunterzieht.
    Schönste Grüße nach Calvados (liebe ich auch...flüssig)
    vom Hermann

    Hi,
    seid ihr euch sicher, dass ein steil stehnder Drachen immer unruhiger steht als ein flach stehender?


    Ich dachte immer, dass das eher vom Drachentyp abhaengt, wo und wie gross der unruhige Bereich ist.
    Mein Sode z.B. steht ohne Schwanz recht steil und trotzdem wie angenagelt. Mit Schwanz steht er flacher aber unruhiger.


    Gruss,
    Dietmar

    > seid ihr euch sicher, dass ein steil stehnder Drachen immer unruhiger steht als ein flach stehender?
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    Hallo Dietmar,
    vermutlich hast Du die besseren Drachen. Gratulation! Meine steilfliegenden Drachen spinnen immer dann, wenn der Wind nachlässt. So lange er bläst, ist die lange Leine unter dem Drachen nach hinten durchgebogen. Trotzdem fliegt der Drachen stabil. Wenn der Wind aber nachlässt, wird die Schnurspannung praktisch Null und der Drachen segelt nach Belieben über den Himmel. Ein Genki oder Delta sieht wunderschön aus in diesem Flugzustand.
    Aber mein KAP-Rig sollte dann nicht daran hängen. Daher hänge ich eine Windturbine oder einen Luftsack hinter den Drachen, der hält die Leine immer etwas flacher.
    Gruß vom Hermann

    Ich denke, man muß zwei Dinge unterscheiden: zum einen wird sicher ein Drachen anfangen zu tanzen, der sich in Ermangelung von Wind kaum noch in der Luft halten kann. Er hat also kaum Auftriebsüberschuß. Das kann man natürlich, wie du schon sagst, mit einem Windsack verbessern, weil der den Leinenwinkel reduziert und durch den damit verbundenen steileren Anstellwinkel mehr Druck ins Segel bringt.


    Zum anderen gibt es aber auch bauartbedingt Drachen die - ausreichend Wind vorausgesetzt - steiler stehen als andere. Einige davon stehen sicher auch stabiler als andere.
    Deswegen glaube ich nicht, dass die Flugstabilität grundsätzlich vom Leinenwinkel anhängt, sondern eher von der Bauart des Drachens und vom Auftriebsüberschuss mit dem er gerade fliegt.


    Gruß,
    Dietmar

    Man findet wohl immer auch das Gegenbeispiel, aber Dietmar, meinst du nicht, dass Herman prinzipiel schon richtig liegt. Denkt man an die beiden häufig verwendeten Drachen Rokkaku und Delta, trifft das schon zu. Und hier stimmt auch der Gedanke vom Auftriebsüberschuss.
    Insofern liegt ihr beide richtig. ;)

    À plus


    Steph/Elément'Air
    Calvados/France

    Hallo Freunde,
    natürlich liegen wir alle 3 richtig. Die Wahrheit ist immer komplex, nicht nur bei Drachensachen. Aber da stört es nicht, im Gegenteil es macht die Sache spannend und schön (anders als in der Liebe oder Politik ;)
    Ich möchte noch was anmerken zurm Thema "bauartbedingt". Der Brogden, den Ihr links seht, hat zwar einen für seine Größe erheblichen Auftrieb, er fliegt schön steil, aber trotzdem stabil. Charles Brogden hatte wohlweislich das Topsegel nach hinten geneigt und das Hecksegel nach vorn. Das stört die Aerodynamik und mindert den Leinenwinkel, aber es stabilisiert den Flug. Ähnlich wirkt bei Delta und Genki eine Flatterkante im Heck.
    Viel Auftrieb ist der Stabilität sehr schädlich, wenn er am falschen Punkt wirkt. Das musste ich erfahren, als ich meinem Klüverdrachen ein zweites Hecksegel hinter das erste setzte. Der Drachen zog wunderbar, aber bei unruhigem Wind begann er plötzlich wie verrückt zu rotieren. Da musste ich mühsam lernen, was die meisten Freunde instinktiv wissen: Viel Auftrieb vorn ist Klasse, viel Auftrieb hinten ist schlecht, hab ich Recht?
    Gruß Hermann

    Hi,
    die Aerodynamik von Drachen ist sicher sehr kompliziert und in vielen Fällen sicher komplexer als z.B. bei normalen Flugzeugen. Da kann man sich lebhaft vorstellen, dass ein zusätzliches Segel recht unerwartete Effekte erzeugt.


    Was die Flugstabilität bei sehr steilem Leinenwinkel angeht wäre es ja mal interessant zu wissen, woran das eigentlich liegt, dass manche Drachen dort oben nervöser reagieren als andere.
    Hat es dazu schon mal irgendwelche Untersuchungen gegeben?


    Gruß,
    Dietmar