Endlich ist es soweit! Nach über 6 Wochen quälender Enthaltsamkeit die der neue Flügel nun in der Wohnung steht, habe ich es endlich geschafft ihn gebührend an die Leine zu nehmen.
Der Ausflug macht Lust auf mehr. Aber der Reihe nach..
Im Spätsommer 2004 bekam ich eher durch einen spontanen Witz als durch eine direkte Frage, von Bertram das tolle Angebot, seinen im Rahmen des Powerdrachenworkshops im Freundlichen Drachenforum entwickelten und mehrfach überarbeiteten Vagabond von ihm persönlich handgenäht zu bekommen. Als völlig unerfahren im Drachenbau habe ich mich über dieses nette Angebot schon damals unglaublich gefreut, zumal wir uns nicht einmal persönlich kannten. Geplant war eine Special Edition in der Größe 1.3 qm2 mit einer Spannweite von ca. 2,85 m.
Was folgte, waren unzählige Emails und private Nachrichten über mehrere Monate, die sich eigentlich permanent um das Thema der Material- und Farbwahl des Segels drehten. Daraufhin hielt ich am 22. Dezember 2004 pünktlich zu Weihnachten meinen V2 1.3 SE mit der Nr. 3 in Wunschfarben in den Händen.
Technische Daten V2 1.3 SE:
Spannweite: 285 cm
Standhöhe: 90 cm
Gewicht: 650 g
Gestänge 8 mm CFK / 10 mm CFK dickwandig untere Querspreize / 4 mm CFK und 2 mm GFK Segellatten
Segeltuch: Chikara, 42 g
Windbereich: 2 bis 7 bft.
Ein Blick auf die Verarbeitung offenbart bereits beim Auspacken welche außergewöhnlichen Qualitätsansprüche dieser Drachen erfüllt. Das hellgraue mit vier leuchtend roten und einem schwarzen Panel in schwarzem Dacron abgesetzte Segel ist mit rotem Garn vernäht - in einer Exaktheit, die einen Vergleich mit den gerühmten Ryll Drachen zu keiner Zeit scheuen muss. Auf die zahlreichen neuen Detaillösungen u. a. zur Erzielung der besonders starken Profilierung des Segels möchte ich hier nicht eingehen, dies ist erstens bereits final in dem besagten Threat im Workshop geschehen, zweitens könnte es Bertram sicherlich viel besser als ich. Gleichwohl lässt mir bereits die Optik des Vagabond das Wasser im Mund zusammenlaufen.
Strahlender Sonnenschein und gleichmäßigste 3 bft Seewind bilden dann die Bedingungen für einen Erstflug der besonderen Art, bei dem bereits das Aufbauen ein Genuss ist. Ich wähle 130 kg Cyclone Extreme mit 35 m Länge. Die Waage auf Neutralstellung. Schließlich geht es zuerst darum, den V2 überhaupt kennenzulernen.
Ein leichtes rucken an den Leinen lässt den V2 am Windfensterrand völlig problemlos starten. Kein von anderen gestreckten Drachen bekanntes "wegkippen", kein "hochziehen" durch Schritte rückwärts, kein korrigieren, nichts. Der V2 nimmt sofort Strömung auf. Um direkt klare Verhältnisse zu schaffen, geht's ab damit durchs Windfenster. Der Grunddruck ist enorm, allerdings sorgt er bei meinen 85 kg noch nicht für Raumverlust. Unwillkürlich ziehe ich den Vergleich zum Automobilbereich, so muss sich ein BMW M5 mit 200 km/h auf der Autobahn fahren lassen, quasi wie auf Schienen, mit dem gewissen Gefühl immer noch deutlich zulegen zu können und dabei richtig gemein zu werden. Auf der anderen Seite des Windfensters steht der V2 wie angenagelt und lässt sich fast wie im Schlaf absetzen oder drehen. Der Flug durch die Sonne zeigt eine Segeloptik zum verlieben.
Eine weitere halbe Stunde in dieser Einstellung zeigt mir eine Agilität und Wendigkeit des V2 die ich bisher bei anderen Drachen kaum kannte - bei einer Zugkraft die deutlich über dem Niveau vergleichbar großer Drachen liegt und selbst mit Drachen weit in der 3 m Klasse völlig problemlos mithalten kann. Das alles bei einer Beherrschbarkeit, die ihres gleichen sucht. Aber ich bin ja nicht zum Vergnügen hier, also rückt die Waage auf den nächsten steileren Knoten, der immer noch Platz für eine letzte Schlaufe lässt.
Das Startverhalten ändert sich kaum, mit nur minimalen Korrekturen lässt sich der V2 starten. Dabei hat er durch die steilere Einstellung nochmals an Agilität und Wendigkeit gewonnen. Auch der Grunddruck hat sich spürbar erhöht. Hier würden Personen um die 70 kg sicherlich permanent an Boden verlieren, für mich reicht es nur für einige Meter stotternden Raumverlust. Einher geht diese Leistungssteigerung mit einem geringen Verlust an Gutmütigkeit, der jedoch selbst von unerfahrenen Piloten noch problemlos kompensiert werden kann.
Aber damit gebe ich mich noch nicht zufrieden. Wo ein Knoten ist, lässt sich auch eine Leine anschlaufen - also finale Waageeinstellung. Um es kurz zu machen, der 3. Startversuch klappt, doch es gibt angenehmeres, hier braucht es sicherlich 4 bft um problemlos abzuheben. Der V2 belohnt mich mit einer kaum noch zu überbietenden Agilität und Wendigkeit, mit der ein Grunddruck einhergeht, der mir weitere Meter Boden abringt. Am Windfensterrand ist das Verhalten nun nicht mehr einsteigerfreundlich, zudem schreit er im Flug danach in Bewegung gehalten zu werden. Dies belohnt er jedoch mit einem Flugverhalten, dass mich den angesprochenen M5 gerne mal zum Vergleich auf der gerade fertig gestellten A31 fahren lassen würde 8-)
Die dem Flug zugrunde liegenden Windverhältnisse lassen den Schluss zu, dass der V2 noch Reserven mitbringt, die er erst in höheren Windbereichen ausspielt. Hier wirkt die Einstellung auf dem steilsten Waageknoten sicherlich wie das Ausschalten des ESP im M5. Das bürgt nicht nur dort eindeutig für jede Menge Spaß - und ich freue mich jetzt schon auf einen Tag mit mehr Wind, gerne auch mit sehr viel mehr Wind :O
Insgesamt kann ich für mich das Fazit treffen, dass sich der Kauf absolut gelohnt hat und dass ich - sollte Bertram so freundlich sein, sich noch mal die Arbeit zu machen - sicherlich auch die folgenden Größen gerne mein Eigen nennen werde. Begeistert haben mich vor allem die für einen Stabdrachen dieser Größe enorme Wendigkeit und die scharfe Optik.
Einen Vergleich zu den geschaffenen Referenzen S-Kite oder Pure möchte ich bewusst nicht ziehen, erstens weil ich keine Diskussionen über etwas lostreten möchte, was momentan niemand beurteilen kann, zweitens weil sich Spaß nicht pauschal definieren lässt. Allerdings mag der aufmerksame Leser gerne zwischen den Zeilen lesen und subjektiv interpretieren
Abschließend möchte ich Bertram für den klasse Drachen und die vielen Schweißtropfen vor der Nähmaschine herzlich danken, so was ist auf keinen Fall selbstverständlich.
Gruss
Jens