Hallo Gemeinde,
nachdem ich hier im Forum etwa 4 Monate still mitgelesen und profitiert habe möchte ich euch zeigen, was dabei herausgekommen ist.
Irgendwann im September wurde die Modellflugsaison durch stürmische Winde plötzlich beendet. Da viel mir der Lenkdrachen ein, den ich meinem Sohn vor vielen Jahren einmal an der Ostsee gekauft hatte. Er war auch schon bald im Keller gefunden und aufgebaut. Allerdings fehlten zwei dieser Dinger an den Stabenden, wo das Segel mit Gummis befestigt ist. Mit kräftiger Schnur und Kabelbindern wurde ein Notbehelf gefunden und schon bald ging es auf die Wiese.
Die Leinen von den Rollen abgewickelt und mit Schlaufen befestigt und es konnte losgehen. Mit lautem Knattern des Drachens und hektischen Reaktionen meinerseits ging es durch die Lüfte. Wow! Hatte ich den Drachen jemals bei soviel Wind geflogen? Ich konnte mich eigentlich nur an eher vergebliche Startversuche bei schwachem Wind und unvermeidliche Abstürze bei etwas stärkerem Wind erinnern. Es gelang mir sogar, trotz des stürmischen Windes den Drachen seitlich vergleichsweise sanft zu landen. Gestoppt wurde das Vergnügen erst, als eine Leine riss und der Drachen propellerartig zu Boden kam. Doch die Leine war schnell geknotet, auch die zweite ein wenig gekürzt und es konnte weiter gehen. Der zweite Leinenriss wenig später beendete den Flugtag aber dann, es war wohl doch etwas zuviel Wind.
Abends wurde dann gegoogelt, ob es diese Befestiger für das Segel am Stabende vielleicht irgendwo als Ersatzteile gäbe. Und bald sind Splitnocken, Spannnocken, FSD-Nocken gefunden, die Auswahl ist groß. Dann erst die Drachen (aber auch die Preise!). Der nächste Drachenladen ist aber eine knappe Autostunde entfernt, ein Besuch ist frühestens am nächsten Wochenende drin.
Doch bis dahin ist's lang. Und das Internet ist eine schier unerschöpfliche Informationsquelle. Immer mehr Drachenhändler werden gefunden, Drachenhersteller, Drachenforen. Bald gehören Dyneema, Windfenster, Exel Extreme und Halfaxel zu meinem Wortschatz und ich erfahre, dass ich den grundlegensten aller Tricks ja schon beherrsche, den Spatentrick.
Die Zeit vergeht und ein Gedanke reift: Ich brauche einen richtigen Drachen. Was ich da einmal für meinen Sohn gekauft habe scheint in die Kategorie der Aldi- oder Baumarktdrachen zu gehören. Da kann ich auf meine bisherigen Fugkünste ja fast stolz sein.
Am kommenden Wochenende habe ich die Splitnocken in der Tasche - und auch einen Phönix von HQ-Invento. Das Wetter ist schlecht, es nieselt, aber etwas Wind geht. Also nichts wie raus. Den Drachen aufgebaut, die Leinen ausgelegt und ab in die Luft...
Die Begeisterung war riesig, der Wind oft zu schwach für den Phönix, das frustet. Der Selbstbau eines leichtern Drachens wurde ins Auge gefasst. Das freundliche Drachenforum bietet alles, was man Wissen muss. Doch beim nächsten Besuch im Drachenladen ist der Respekt vor Icarex und Chikara, vor Segelmacher- und geschlossenen Kappnähten noch zu groß. So verlasse ich den Laden mit einem L2 Sunrise von Level One!
So ist der Windbereich nach unten besser abgedeckt. Aber was ist nach oben? Das Drachenvirus lässt mir keine Ruhe. So wird jetzt ein Selbstbau für eher den oberen Windbereich geplant. So ein kleines bisschen Power wäre vielleicht nicht schlecht.
Von der Geometrie ist eine einfache Deltaform mit gerader Leitkante und ohne große Einschürung an der Schleppkante geplant. Ein Stand-Off auf jeder Seite soll zunächst genügen. Es soll für den Anfang ja nicht gleich zu kompliziert werden. Während ich an einer maßstäblichen Zeichnung arbeite entwirft meine Tochter das Design. Es soll einfach sein damit ich mit meinen Nähkünsten nicht gleich scheitere, aber trotzdem einigermaßen ansprechend. Das ist ihr gelungen. Dann wird das Segel samt Design in Originalgröße auf Papier aufgezeichnet und ausgeschnitten. Die Paneele werden auf Karton aufgeklebt und mit 8mm Zuschlag für die Segelmachernaht ausgeschnitten. Inzwischen sind die bestellten Verbinder, CFK-Rohre Exel Extreme 6mm und Spinnakernylon 48 g/m2 eingetroffen.
Nun kommt zum ersten mal der Heißschneider des Lötkolbens zum Einsatz. Die ersten Versuche sind noch nicht ganz zufriedenstellend, aber nach dem Schärfen der Schneide mit einer Feile lassen sich die Paneele einwandfrei entlang der Schablonen heraustrennen. Die einzelnen Paneele weren mit Pritt-Kleberoller miteinander verklebt und dann mittels Segelmachernaht vernäht. Es folgt das Säumen der Schleppkante, dann kommen die Leitkantentaschen aus Dacron und die Drachennase aus Gurtband. Anfang und Ende jeder Naht werden mit einem winzigen Tropfen dünnflüssigen Sekundenklebers fixiert. Dann werden mit dem Heißschneider die diversen Ausschnitte ins Segel geschnitten. Alles geht viel besser als ursprünglich angenommen.
Nun wird es spannend. Das Segel wird, zunächst provisorisch, bestabt. Die Ausschnitte für die Querspreizen passen. Alle Stäbe werden abgelängt und wieder eingebaut, die Verbinder mit Clips fixiert. Die Schleppkante wird mit einer Saumschnur versehen und das Segel mit Waageschnur an den HQ-Nocken befestigt. Nun noch die Stand-Offs abgelängt und eingepasst. Das Ganze sieht nun tatsächlich wie ein richtiger Drachen aus. Die Spannweite beträgt 185cm, das Gewicht 240 Gramm.
Fehlt noch die Waage. Vorderer und seitlicher Waageschenkel werden mit Knotenleitern an der Leitkante befestigt, das andere Ende des vorderen Waageschenkels verschieblich mit den beiden anderen Schenkeln verbunden. So ist eine große Variabilität der Waage gewährleistet.
Nur noch wenige Tage bis Weihnachten. Die durchziehenden Tiefs bringen Regen, aber auch Wind. Was will ich mehr. Gleich der erste Flug gelingt. Mit kräftigem Zug und angenehmen Rauschen zieht der Drachen seine Bahn. Die Knotenleitern werden herauf und heruntergespielt und bald ist eine optimale Position gefunden. Einzig die Wendigkeit läßt zu wünschen übrig, da sind Phönix und L2 deutlich überlegen. Aber da bieten Waagenbreite, Saumschnur und Stand-Offs noch ein weites Feld zum Experimentieren.
Unterm Weihnachtbaum liegt ein Windmaster 2. So weiß ich, dass ich heute bei Windstärke 3 bis 4, in Böen 5 geflogen bin. In den Böen gibt es kein vertun, wer hier das Sagen hat. In den größer werdenden Schritten und Stolperern schnell an den Windfensterrand oder in den Zenith geflogen. Dann wieder neu positioniert, tief eingeatmet und ab in die Mitte. Einfach herrlich. Die durch das Tauwetter tiefe Wiese verwandelt sich allmählich in einen Acker und der Unterschied zwischen Acker und meiner Kleidung verliert sich zusehends. Auchein kräftiger Regenguss kann mein Vergnügen nicht schmälern, Nässe von oben und unten treffen sich in der Mitte. Erst die Flaute nach dem Regenguss beendet den Flugtag.
Vielleicht sollte ich einmal einen richtigen Powerdrachen bauen? Andererseits, gestern bin ich im Videoboard zufällig auf John Barresi beim Quad Line Ballet gestoßen. Was für eine tolle Vorführung. Und hier im Forum wurde der Rev 1.2b gebaut. Also dann ein 4-Leiner?...
Eines ist sicher, das war nicht mein letzter Eigenbau (aber mein erster und letzter Beitrag in solcher Länge).
Achim
- Drachen Bild nicht mehr verfügbar -